Sonntag, 25. Dezember 2005

Im nächsten Jahr wird alles anders...

„Das ist doch nicht dein Ernst?!“, fragt sie und würde mich wahrscheinlich auch wieder gequält angucken, wenn ich ihr die Chance dazu ließe. Tu ich aber nicht. Rhetorische Fragen würdige ich ab jetzt keines Blickes mehr. So! Der erste Entschluss wäre damit gefasst und die lange Liste der Dinge, die ich nächstes Jahr ganz bestimmt nicht mehr machen werde, eröffnet.
Das erfüllt mich mit Stolz, der ungefähr so groß ist, wie damals, als ich das erste mal nicht in die Windel, sondern in den Topf gemacht hab. Daran kann ich mich leider nicht mehr erinnern. Was schade ist, denn es muss ein Moment des absoluten Glücks gewesen sein, gemessen vor allem an den Reaktionen meiner Umgebung, die in heillosen Jubel ausbrach, weil ich ja jetzt schon groß bin.
Auch nicht erinnern kann ich mich an die Situation, als ich mit meinem Vater an einer Straßenbahnhaltestelle stand und er mein liebstes Bilderbuch in den Müll werfen wollte. Mir soll Wut in Gesicht gestanden haben, als ich mich verzweifelt an das Buch klammerte und mich mit meinem ganzen Sein gegen die Ungerechtigkeit der welt stemmte. Nachdem mein Vater, einsichtig ob der Erfolglosigkeit seines Tuns, von dem Buch abließ, soll ich ihn belehrt haben: „Sowas macht man mit kleinen Kindern nicht!“
Absurd an der ganzen Geschichte ist eigentlich nur, dass er sie heute in gepatchworktertem Familienkreis mit stolz erzählt und noch nicht mal ich auf die Idee komme zu fragen, warum er das überhaupt getan hat. Das Einzige, was ich mir denke ist: „Mann, Typ, hast du ein Schwein, dass ich darob kein literarisches Trauma entwickelt habe!“
Obwohl… weiß man’s?
Und da kommt dann wieder der Ernst ins spiel, den sie ja – rein akustisch eingeschätzt – für etwas sehr unernstes hält. Ich schaue immer noch nicht auf, weil ich mir schlicht dieses impertinente Grinsen unter der gelüpften Augenbraue immer noch ersparen will. Jaja, hader du auf deine ironische Weise mit meinen Innereien, während ich meine Seele ausschütte. Von dir habe ich sowieso nichts anderes erwartet als ein verbales tabula rasa innerhalb eines längeren Monologs über die Notwedigkeit eines dritten Weltkriegs. „Das“, sagst du zur bekräftigung deiner nihilistischen These, „meint sogar die Bäckerin von um die Ecke. Und die muss es wissen, weil sie ja schon den zweiten miterlebt hat.“ Der kleine Pazifist in mir entwickelt darob einen unüberwindlichen Schluckauf, der keine Worte zulässt. Im Stillen hofft er aber, dass gleich etwas gesprungen kommt, das ihn ganz furchtbar erschreckt. Es kommt aber nichts, weil du eine Masche an deinem Strickgut verloren hast und nun mit deinen angespitzten Fingernägeln versuchst, sie wieder aufzufädeln.
Deine Maschen kenn ich, griemel ich zufrieden in mich hinein und schreib, weil’s grade so schön passt, gleich den zweiten Entschluss auf die nicht-mehr-im-nächsten-jahr-liste: in den spiegel gucken.

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